Der große Tathagata:
Lockruf aus dem lodernden Flammenhaus

Kommentar: Eine Liebes-Erklärung

Teil 3: Kommentierung der einzelnen Kapitel
II. Satan – eine Frau? – Gott, der „Vater“ – und Satan, die „Mutter“?

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Nach jüdisch-altchristlicher (aber auch islamischer) Vorstellung war der Satan Gottes erstes und prächtigstes Geschöpf, A dessen Abfall in Eitelkeit und Neid begründet war, als Gott sich anschickte, die Menschheit zu erschaffen – so wie sich hier die göttliche Gemahlin als erste Tochter des königlichen All-Vaters verhält.

Doch ist diese Darstellung Satans als untreue Gemahlin Gottes zulässig? Ist Satan eine Frau? – eine `Satana´? B Sicher ist jenem hohen Wesen ebenso wenig ein Geschlecht zuzuordnen C wie der Ur-Gottheit, der alles hervor bringenden göttlichen Liebe. D Himmlische Wesen bilden über-geschlechtliche Syzigien, jenseits einer geschlechtlichen Differenzierung. Eine geschlechtliche Zuordnung kann folglich beliebig ausfallen. So wird beispielsweise die Allmacht der göttlichen Liebe, „Tathagata“, in China, dort „Kuan-Yin“ genannt, sowie auch in Japan, dort als „Kannon“ verehrt, weiblich aufgefasst. (039a) (039b) Auch dem gnostisch geprägten Urchristentum war die Verehrung Christi als Personifizierung der himmlisch-göttlichen „Achamoth“ – auch als „Sophia“ oder „Sapientia“ E und „Ruach“ F verehrt, die alles hervor gebracht hat und durch Ihre Allmacht trägt G – durchaus nicht fremd.

Nachdem in der vorliegenden Erzählung unterstrichen werden soll, dass selbst auch der Satan als das übelste Geschöpf und Haupt aller Auflehnung H doch geliebtes Gottes-Gegenüber bleibt – und von dessen unerschütterlichen Liebe bis zum Schluss gesucht und schließlich wieder gewonnen werden wird, I bietet sich die Zuteilung der Rolle der selbst-süchtigen Mutter im Gegensatz zum selbst-losen Vater regelrecht an. Dies unterstreicht, dass jene überpersonelle, J schier gottgleiche Kraft und Wesenheit K – auch wenn sie zu einem Gegenbild und Negativ der göttlichen Allmacht der Liebe und universalen Urkraft deformiert ist – doch Entsprechung zu ihrer göttlichen Urquelle ist und bleibt und darum wieder in sie eingehen muss und soll, L wie es – nach der „Lotos Sutra“ – ewiger, unerschütterlich bestehen bleibender Vorsatz der göttlichen Liebe M des Tathagata ist (089; 089b).

Zudem findet sich die Verkörperung des Bösen in Gestalt einer Frau (etwa als Hexe, Stiefmutter, Schneekönigin) in vielen Märchen, so dass sie im märchen-haften Auftakt der folgenden Parabel nur allzu passend erscheint. Auch in den Narnia-Chroniken von S.C. Lewis stellt die teuflische Königin Jadis letztlich den Satan.

Schließlich ist diese feminine Vorstellung vom Bösen den biblischen Ursprungsmythen, aus welchen sich die jüdisch-christliche Satanologie entwickelt hat, durchaus nicht fremd: In der Johannes-Apokalypse wird Satan als „alte Drachen-Schlange“ beschrieben, N was an das Ungetüm der Drachengöttin „Rahab“ erinnern lässt, welcher Jahwe das Haupt zertrümmert haben, und deren Chaosfluten Er geteilt und zurück gedrängt haben soll. O (073) In der ersten Schöpfungserzählung der Genesis finden sich ähnliche Anspielungen: Der Kosmos versinkt zunächst in einem „Tohu wa Bohu“, einem Chaos von „D´runter und D´rüber“, von „Irrung und Verwirrung“ durch die Finsternis aus dem Mutterschoß der „Tiefe“ P – im Urtext eine Anspielung auf die Drachengöttin „Tiamat“, die nach dem babylonischen Ursprungsmythen dann aber von der alsdann hervorstrahlenden Lichtgestalt des Marduk, Q dem Sohn des höchsten Sonnengottes, R vernichtend geschlagen worden ist, worauf dessen (ordnende Wieder-)Erschaffung des irdischen Kosmos folgte

Die biblische Schöpfungserzählung wird heute als eine theologisch motivierte literarische Weiterverarbeitung des babylonischen Schöpfungsepos verstanden – ähnlich wie die vorliegende Novelle das ältere Buddha-Gleichnis in einer weitreichenderen spirituellen Parabel weiterentwickelt.

Wie Satan, so wurde auch die Schlange der Verführungsgeschichte durchaus auch feminin gedacht, verbarg sich hinter diesem ursprünglich menschengestaltigen Reptilienwesen, das erst später durch den göttlichen Fluch in ein Kriechtier verwandelt worden ist, S nach jüdischen Legenden doch ein weibliches Dämonenwesen, die eitle Lilith, der sich Adam nicht unterordnen wollte, und die darum aus Eifersucht dessen `zweite Frau´ – und über sie letztlich Adam selbst – doch noch zu Fall brachte.

Ebenso findet sich in der Bibel das Bild der verführerischen Mutter, die Gott, dem Vater, Seine Kinder abspenstig macht und raubt, aber Ihm auf Dauer nicht ewig vorenthalten können wird  T – im Bild der untreu gewordenen Gottes-Gemahlin Jerusalem U oder der eschatologischen Hure Babylon V als Sinnbild einer (die Gottlosen gefangen haltenden) dämonischen Blend-Kraft. W

Nach buddhistischen Legenden wird Buddha – ähnlich wie Jesus X – unmittelbar vor seiner Erleuchtung, die seinem Hervortreten als gleichnis-erzählender Wanderprediger voraus geht, durch „Mara“ versucht – in Gestalt dreier `Töchter´ – also Frauen: durch „Rati“, die „Lust“, durch „Arati“, die „Unlust“, „Unzufriedenheit“, und durch „Tanha“, die „Gier“. Y Tritt das mörderische Böse Z hier also regelrecht trinitarisch AA in Frauengestalt in Erscheinung, so kann das Prinzip des Unheils selbst auch feminin (im Sinne von „geschöpflich“ gegenüber dem Schöpfer) gedeutet oder dargestellt werden.

Die Protagonisten – der selbstlose „Vater“ und die selbstsüchtige „Mutter“ – stellen in dieser Geschichte freilich aber mehr vieldeutige Archetypen des Guten und Bösen als individuelle Persönlichkeiten (oder einer bestimmten Religion zugeordnete Gottheiten). Auch die geschlechtsspezifische Zuordnung von Gut und Böse ist darum beliebig und hätte ebenso auch umgekehrt ausfallen können. Nachdem aber der große Tathagata im hier verarbeiteten Gleichnis – wie der biblische Gott – nun einmal als „Vater“ AB beschrieben wird, blieb für das sich wieder Ihn auflehnende und dennoch weiterhin von Ihm geliebte Gegenüber nur die „Mutter“.

Um falschen geschlechtsspezifisch-denunzierenden Miss-Deutungen jener alten Mythen (wie sie leider in den antiken patriarchalischen Gesellschaften bis in die jüngste Gegenwart – mit verheerenden Folgen! – nicht unterblieben sind AC) entgegen zu wirken, wurde in dieser Parabel – wie in der „Bibel(-Übersetzung) in gerechter Sprache“ – immer wieder die mütterliche, feminine Seite der All-Gottheit AD herausgestellt, wenn etwa Ihre erste Entäußerung AE nicht nur mit einem majestätischen Hirschenprinzen, sondern auch mit einer gazellenartigen graziösen Hirschkuh verglichen wird, als wäre (in Kapitel IX / 011c) mit dem Hirschwesen aus dem großen Büffel gleichsam das Mutterherz aus dem Vaterherzen herausgetreten, wie sich alsdann noch (in Kapitel X) das geschwisterliche Herz enthüllen soll. AF So tritt aus dem Vater gleichsam die Mutter, AG und aus der Mutter wiederum das Kind. AH

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  1. ↑A vgl. Ez 28,12-19; Ijob 38,7; Jes 14,12-15
  2. ↑B So lehren es etwa die sich als (wahre Nachfolger der) Urchristen (sowie der im Mittelalter als Ketzer verfolgten Katharer) verstehenden Anhänger der Prophetin Gabriele Wittek vom „Heimholungswerk Jesu Christi“, einer christlichen Sekte, die sich heute „Universelles Leben“ nennt.
  3. ↑C Mt 22,29-30 gegen Gen 6,1-4; II Petr 2,4; Jud 6; nach uralten Mythen sollen auch Elfen Männer in ihre Welten entführt haben – vgl. jüdische Legende von Adam und dem femininen Dämonenwesen Lilith
  4. ↑D vgl. I Joh 4,7-11.16.18; I Kor 13,4-8
  5. ↑E (029) Die göttliche „Weisheit“, die als weibliche Erscheinungsform Gottes und als Seine feminine Ansicht, zeitweilig gott-gleiche Verehrung genossen hat: hebräisch die „Achamoth“, griechisch die „Sophia“, römisch die „Sapientia“ – ähnlich wie im Hinduismus bis heute die „Sarasvati“, die Göttin der Weisheit, oder auch „Lakshmi“ oder „Parvati“ als `Gemahlin´ Brahmans oder Vishnus oder Shivas (die ihrerseits als höchster Gott oft gleichgesetzt werden bzw. eine dreifaltige Trimurti bilden – vgl. 061), als Gottes femininer Aspekt göttliche Verehrung genießen
  6. ↑F II Kor 3,17; der „Geist“, die „Alles-Durchhauchung“ Gottes, im hebräischen feminin
  7. ↑G Hebr 1,3; Joh 1,1-5.9; 17,3.5.8.24; Prov 8,21-33; Weisheit 7,12.21-30; 8,3-4; 9,1-2.4.9; Jes Sir 4,12-22; Prov 9,1-6 / I Kor 1,29-30; 2,6-8; 11,24-25; Apk 3,20
  8. ↑H Apk 12,3-4.7-9; Luk 10,18; Jes 14,12-13; II Thess 2,3-4.9; II Kor 4,4; Luk 4,5-6; Eph 2,1-3
  9. ↑I vgl. Phil 2,9-11; I Kor 12,3; Jes 30,7; Ps 82,1.6-7; II Kor 5,14-15; Kol 1,19-20; Eph 1,9-10.22-23; Apk 5,13-14; Eph 2,1-7; I Kor 15,28.54-56
  10. ↑J vgl. Mk 5,9; Apk 4,6-8; Ez 1,18.24.20-21: von der göttlichen Ruach beseelte höchste Kollektivwesen, gleich ganzen Schöpfungen (vgl. Eph 1,22-23; 5,29-32)
  11. ↑K Luk 4,5-6; Gal 1,8; II Kor 1,14; II Kor 4,4 bezeichnet die all-umschlingende Finsternismacht gar als den „Gott dieser Welt“
  12. ↑L Eph 5,30-32; 1,9-10; I Joh 2,1-2; Joh 12,32
  13. ↑M Jes 42,8; 45,23-24; Röm 3,3; 5,20-21; 11,29.32.36; II Tim 2,13; I Kor 13,4-8
  14. ↑N Apk 12,3-4.7-9; Jes 27,1
  15. ↑O Jes 51,9; 30,7 Ijob 9,13; 26,12-13; 38,11; Ez 29,3; Ps 42,8; Apk 12,15; 20,13; 21,1
  16. ↑P Gen 1,1-2; Ijob 38,8-11; Ps 42,8
  17. ↑Q vgl. Gen 1,3-5; II Kor 4,6.4-5; Joh 1,4-5.9; 8,12; Luk 22,53; 1,78; Mt 4,16; Mal 3,20; Kol 1,13; Act 26,18
  18. ↑R I Joh 1,5; 5,20; Jak 1,17; Hebr 1,13.9; Kol 1,15
  19. ↑S Gen 3,1.14
  20. ↑T Jes 47,7-9; 45,5
  21. ↑U Hos 2,21-22.4-9; Jer 2,2; 54,2-5; 57,3-4; siehe insbes. Ez 16,7-8.9-13.35-43!
  22. ↑V Apk 17,1-6.9
  23. ↑W Eph 2,1-3; 6,12; II Kor 4,4; II Thess 2,3-12
  24. ↑X Luk 4,1-13
  25. ↑Y Eph 4,17-19; II Tim 3,6; I Tim 6,10; Hebr 12,15
  26. ↑Z vgl. Joh 8,44
  27. ↑AA vgl. Apk 16,13; 20,10: satanische Trinität
  28. ↑AB vgl. Röm 10,11-13; Jes 63,16; Mt 6,9; Gal 4,6; Röm 8,15-16
  29. ↑AC I Tim 2,12-15; I Kor 14,34-38
  30. vgl. Mt 23,37; Jes 49,14-16; 66,13; 42,14; 54,6; Ps 131,2; I Thess 2,7; in Gen 2,18.24 wird die Frau als göttliche Hilfe beschrieben, welcher der Mann „anhängt“ – Hinweis auf ein früheres Matriarchat, in welchem entsprechend die Gottheit als göttliche Mutter Erde verehrt wurde; vgl. Jes Sir 40,1
  31. ↑AE vgl. Phil 2,6-8; Kol 1,15; Apk 3,14; Hebr 1,6.9
  32. ↑AF Hebr 2,11.14; Joh 20,17; Hebr 4,14-15; I Joh 3,20
  33. ↑AG Luk 1,35: Jesus als Ausfluss der Ruach und Achamoth; vgl. Anmerkungen unter E-G / 029
  34. ↑AH Jes 7,14; 9,5